Immer und überall nur Fußball, so die Mahner. Ok, ein Großereignis wie die Europameisterschaft lasse ich mir ja noch gefallen, sagen sie. Aber sonst, man hat ja den Eindruck, dass mittlerweile jeder rollende Ball im TV übertragen wird.
Und? Wie sehen Sie das? Haben die Kritiker Recht?
Ich sage: Ja und Nein.
Ja, es wird viel Fußball gezeigt im deutschen Fernsehen. Weltmeisterschaften wechseln sich im 2-Jahres-Rhythmus ab mit Europameisterschaften, europäischer Clubfußball dienstags und mittwochs in der Champions-League, donnerstags dann in der Europa-League, von Freitag bis Montag die Spiele der Bundesliga und der 2.Liga. Jeden Tag Fußball also.
Und nein, es läuft nicht nur Fußball im TV. Auch, wenn es für die Kritiker so anmuten mag. Es gibt ausreichend Alternativen in den zahlreichen Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, des Privat-Fernsehens und auch des Pay-TV. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 145 Fernsehsender. Dazu kommen noch die Angebote der On-Demand-Anbieter. Es wird niemand gezwungen, Fußball im Fernsehen zu schauen. Jeder hat die Wahl. Jeder entscheidet selbst.
Natürlich verstehe ich die Sportler und Funktionäre anderer Sportarten, die neidisch auf die Übertragungszeiten und auch die damit verbundenen Einnahmen im Fußball schauen.
Selbst einige Fußball-Funktionäre wie beispielsweise der langjährige Vorstandsvorsitzende von Eintracht Frankfurt, Heribert Bruchhagen, sind der Meinung, dass der Fußball
„mittlerweile eine zu große Bedeutung einnimmt und Sportarten wie Leichtathletik, Handball oder Basketball erschlagen hat“.
Aber warum ist das so? Warum boomt die Liga seit Jahren unentwegt? Warum sind die TV-Sender vor allem so scharf auf Fußball-Übertragungsrechte? Warum überbieten sie sich gegenseitig und ermöglichen der DFL und damit den Vereinen einen Ertrag von durchschnittlich etwa 1,5 Milliarden Euro pro Saison für die Spielzeiten 2017 bis 2021?
Weil Fußball Massen bewegt, emotionalisiert, verbindet, Grenzen unsichtbar macht. Für mich gibt es zwei Dinge, welche die Kraft haben, Menschen in einem solchen Ausmaß und weltweit zusammenzubringen und zu einen. Völlig unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Alter oder Religion. Das sind Musik und Sport. Und hier im Speziellen der Fußball!
Das wird deutlich in den Besucherzahlen in den Stadien oder eben in den Einschaltquoten der TV-Sender. Das erste Gruppenspiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine bei der diesjährigen EM in Frankreich an einem Sonntagabend um 21:00 Uhr sahen 26,57 Millionen Zuschauer. Das bedeutet einen Marktanteil von 68,5 %. Da mögen auch viele dabei sein, die sich lediglich bei Großereignissen in den Bann ziehen lassen. Aber selbst ein Spiel wie Spanien gegen Tschechien montags um 15:00 Uhr verfolgen mehr als 5 Millionen Fußballfans. Belgien gegen Italien am Abend dann gar mehr als 13 Millionen.
Und so stellt sich die Frage: Schauen so viele Menschen zu, weil sie keine Wahl haben oder bieten die TV-Sender das Programm an, welches viele Zuschauer sehen möchten? Eine Frage, die sich immer wieder auch bei anderen Formaten stellt. Konditioniert das Fernsehen die Menschen oder orientieren sich die Programmmacher nicht vielmehr daran, was bei den Zuschauern Anklang findet und die Bedürfnisse eines großen Teils der Menschen zufriedenstellt.
Wenn die ARD die Idee hat, vorgelagert zum DFB-Pokal einen "Finaltag der Amateure" zu initiieren, an dem 17 von insgesamt 21 Landesverbänden ihren Amateur-Pokalsieger ermitteln, die dann ein Startrecht zur 1.Hauptrunde des DFB-Pokals erlangen und eventuell den deutschen Rekordmeister FC Bayern zugelost bekommen, dann kann man das Kritiker sicher für übertrieben halten. Aber bei einer Sehbeteiligung von 1,37 Millionen Zuschauern im Schnitt und mehr als 2 Millionen in der Spitze scheint die ARD einen Nerv getroffen und ein Zuschauerbedürfnis befriedigt zu haben. Und auch für die Beteiligten Vereine und Verbände war es ein Festtag. Ich war selbst bei einem dieser Landespokalfinals vor Ort und spürte förmlich die Freude der Aktiven und der vielen ehrenamtlichen Helfer, dass auch ihre Veranstaltung nun eine große Bühne fand.
Alle Zuschauer in den Stadien, egal ob bei der EM, in der Bundesliga oder auf den unzähligen Sportplätzen der Amateurvereine verbindet letztlich die Begeisterung und die Liebe zum Fußball. Zu dem Spiel, welches beinahe jeder Junge und auch immer mehr Mädchen in frühester Kindheit kennengelernt und in den meisten Fällen auch nicht mehr losgelassen hat.
Auch ich bin diesem Spiel seit frühesten Kindertagen eng verbunden. Habe wie so viele nach der Schule (und natürlich immer erst nach den Hausaufgaben...!) mit den Kumpels auf dem Bolzplatz gekickt. Stundenlang. Im Sommer mit einer Mark in der Tasche, um zwischendurch 10 Wassereis, die es am Kiosk dafür gab, nacheinander zur Stärkung für die nächste Runde einzuschieben. Es kam auch vor, dass ich mit meinem Netz voller Bälle zum Sportplatz geradelt bin, um dort mutterseelenalleine einfach immer und immer wieder meine 6 Bälle vom 16er aufs leere Tor zu schießen.
Ich hatte und habe das Glück, durch den Fußball unendlich viele Leute kennenlernen zu dürfen. Egal wo, beinahe auf dem Sportplatz trifft man heute noch irgendeinen Weggefährten früherer Tage. Dass ich auch im Berufsleben ganz eng mit diesem Sport verbunden bin, empfinde ich als Privileg und großes Glück. Bei aller kritischer Betrachtung der stetig größer werdenden Kommerzialisierung, die grundsätzliche Liebe zum Fußball, zu dem Spiel an sich darf und wird nicht verloren gehen.
Welche Kraft vom Fußball ausgeht, durfte ich beispielsweise bei zahlreichen Reisen mit der deutschen Studentennationalmannschaft erleben. In jeder Form prägende Erlebnisse, die verdeutlichen, dass die Begeisterung zum Fußball kein deutsches Phänomen ist. Selbst in Ländern, in denen der Fußball nicht wie in Deutschland die Sportart Nummer eins ist. Es braucht in der Regel lediglich einen Ball, alles andere ergibt sich. Die Regeln sind einfach und Tore lassen sich auch aus leeren Getränkedosen bauen.
Wir haben mit dieser Mannschaft schon viele Länder auf unterschiedlichen Kontinenten bereist. Mauretanien, Senegal, Südafrika, Swasiland, Lesotho, Paraguay, Uruguay, Argentinien, Ecuador, Galapagos, Brasilien, Kolumbien, Indien. Und überall bleibt die Erfahrung, dass Fußball eine besondere Rolle einnimmt. Fußball ist völkerverbindend. Fußball ist überall auf der Welt präsent, Fußball wird überall auf der Welt gespielt und geliebt.
Als wir vor vielen Jahren in Afrika zu einem Spiel in einem kleinen Wüstendorf der Westsahara kamen, hat einer unserer Jungs mit einem Ball, der dort lag, zu jonglieren begonnen. Es hat keine Minute gedauert bis alle Kids des Dorfes um ihn herum standen und ihn lautstark angefeuert haben. Die leuchtenden Augen, die Blicke und die spontane Begeisterung der Kinder habe ich bis heute nicht vergessen.
Ebenso die Eindrücke der Trainingseinheiten, die unsere Mannschaft in den verschiedenen Ländern immer wieder mit Kindern und Jugendlichen, denen es bei weitem nicht so gut geht wie uns in Deutschland, durchgeführt haben, sind bleibend. Diese Begeisterung und diese Freude am Fußball sind es, die Menschen egal welcher Herkunft, Religion, Hautfarbe, Altersstufe oder Schicht zusammenbringt. Beim Spielen selbst oder beim Zuschauen. Im Stadion oder vor dem Fernseher. In kleinen Gruppen oder in großer Menge wie beim Public Viewing.
Daher ist es für mich nachvollziehbar, warum Fußball in so vielen Facetten im TV als Live-Sport übertragen wird. Es ist als Angebot zu sehen. Es wird niemand gezwungen, Fußball zu schauen. Aber die Einschaltquoten geben den Sendern in aller Regel Recht.
Und für alle, die dieses Virus Fußball nicht befallen hat und auch niemals befallen wird, bleiben in jedem Fall ausreichend Alternativen.
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