Das nächste Spiel ist immer das schwerste oder das Spiel beginnt nach 90 Minuten!

Es gibt ja einige solcher unverrückbarer Weisheiten des Fußballs, die uns unser Weltmeister-Trainer von 1954, Sepp Herberger, hinterlassen hat. Und natürlich wissen Kenner, dass sein Original „Das Spiel dauert 90 Minuten“ lautet. Wäre aber die Medienlandschaft schon zu seiner aktiven Zeit gleichermaßen immens gewesen, hätte er womöglich ebenfalls umformuliert.

Es hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Berichterstattung, vor allem im Fußball, dem unantastbaren Volkssport Nummer 1 in Deutschland.

In der 50er Jahren waren die Printmedien und der Hörfunk die führenden Informationsquellen, der Fernseher noch Statussymbol für Wohlhabende. Erst später wurde das TV dann neben Zeitung und Radio zum Massenmedium mit heute etwa 38 Millionen Fernsehhaushalten.

1984 startete das duale System in Deutschland (öffentlich rechtliches & privates Fernsehen), ab 1988 waren die Spielzusammenfassungen der Bundesliga nicht mehr in der ARD „Sportschau“, sondern bei RTL in der Sendung „Anpfiff“ und ab 1992 dann in „Ran“ bei SAT1 zu sehen. Diese Formate haben die Bundesliga-Berichterstattung einschneidend verändert. Ebenso wie Sky (ehemals Premiere) mit der Bundesliga-Konferenz, die seit August 2000 die Fußballfans im TV unterhält.

In den 1990er Jahren schritt die Entwicklung des Internets in großen Schritten voran und hat die Medien-Berichterstattung und damit einhergehend die Arbeit der Sportjournalisten abermals deutlich verändert. Und schließlich hat die bahnbrechende Entwicklung im Bereich digitaler Kommunikationsformen, sprich social media, die klassische Aufteilung von Sender (Journalist) und Empfänger (Rezipient) derart verändert, dass heutzutage beinahe jeder zum „Hobby-Journalisten“ werden kann bzw. wird. Dem Smartphone sei Dank!

Insgesamt muss man feststellen, dass durch diese Entwicklungen der Druck in der Branche dermaßen gewachsen ist, dass die Hatz nach News, Exklusivität und Aufmerksamkeit  zum ständigen Begleiter geworden ist. Das führt dazu, dass gegenseitiger Respekt, Vertrauen in die Arbeit des anderen und auch der soziale Umgang miteinander mittlerweile zunehmend auf der Strecke bleibt. Das jedenfalls ist eine Entwicklung, die ich als jemand, der auf beiden Seiten (als Sportjournalist und als Vereinsmitarbeiter) Erfahrungen gesammelt hat, erlebe. 

Und genau in diesem Spannungsfeld befinden sich Spieler, Vereinsverantwortliche und in erster Linie die Trainer. Ausgebildete Fußball-Lehrer, die sich um das Wesentliche, nämlich das Spiel, das Training und die Spieler kümmern wollen und zu kümmern haben. Profi-Fußball ist Tagesgeschäft und wird in erster Linie vom sportlichen Erfolg bestimmt. So war es schon zu Herbergers Zeiten. Aber seitdem hat sich das Anforderungsprofil eines Bundesliga-Trainers eminent verändert.

Klar, der Sport steht auch weiterhin selbstverständlich im Mittelpunkt. Fachliche Qualitäten bezüglich Trainingsplanung, täglicher Trainingsarbeit, Spielvorbereitung, Spielsteuerung, Spielanalyse, Weiterentwicklung von Spielern usw. sind das Kerngeschäft. Aber zum einen hat ein Trainer heute durch wesentlich größere Trainerstäbe, Betreuerteams und auch durch eine anders heranwachsende und ausgebildete Generation von Spielern deutlich mehr mit Führungsaufgaben zu tun und zum anderen ist er als wichtigstes Gesicht des Vereins in der Außendarstellung ungleich mehr gefordert als das früher der Fall war. Dieses Verständnis oder vielleicht auch die Bereitschaft, diese Rolle in einem angemessenen Maß einzunehmen, scheint aber nicht in allen Köpfen gleichermaßen verankert zu sein.

 

Ergebnis: Die Medienseite fordert aufgrund der beschriebenen Sachlage immer mehr ein und die Aktiven gehen zunehmend in eine Abwehrhaltung. Der grundsätzlich gelebte respektvolle Umgang miteinander, das gegenseitige Verständnis für den jeweiligen Job inklusive der zwangsläufig damit verbundenen unterschiedlichen Sichtweisen bei verschiedenen Themen, bleiben häufig auf der Strecke und führen regelmäßig zu Konfliktsituationen in diversesten Ausprägungen.

Nürnbergs Trainer René Weiler holte in der Pressekonferenz vor dem Relegations-Rückspiel gegen Eintracht Frankfurt zur Medienschelte aus, weil er sich falsch wiedergegeben fühlte, als er nach dem Hinspiel zur am Vortag veröffentlichten Erkrankung von Frankfurts Marco Russ sagte: „Der Fußball darf nicht hinhalten für irgendwelche Inszenierungen.“ Ohne diese Aussage allerdings weiter einzuordnen.

Schalkes Ex-Trainer André Breitenreiter geriet in der Endphase der Bundesliga-Saison mit einem Reporter aneinander, weil er direkt vor dem Spiel weniger zur aktuellen Begegnung als zu seiner Zukunft bei Schalke 04 befragt wurde. Und das sehr intensiv.

Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, lieferte sich nach dem Halbfinale im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund ein Wortgefecht mit dem Interviewer am Spielfeldrand, weil er das Spiel seiner Mannschaft falsch bewertet sah.

Und Pep Guardiola erweckte in seinen drei Jahren beim FC Bayern den Eindruck, dass Medientermine für ihn generell eher eine lästige Pflicht seien.

Das sind lediglich einige aktuelle Beispiele.

Es ist an der Zeit, sich das „Verhältnis“ Verein und Medien genauer anzuschauen und sich hier und da wieder auf ein paar Grundregeln des anständigen, normalen Miteinanders zu besinnen.

Fest steht jedenfalls, dass sich das Rad in die Zeit von Sepp Herberger nicht mehr zurückdrehen lässt.

Vielmehr würde es allen Beteiligten helfen, das veränderte Hier und Heute zu akzeptieren und sich gemeinsam darauf einzustellen.

Das bedeutet, dass bei allem Druck, der heutzutage im Sportjournalismus spürbar ist, zum Beispiel Dinge wie gründliche Recherche, Seriosität, Kritik, fairer Umgang, Einordnung und die Devise "Wahrheitsgehalt vor Schnelligkeit" nicht auf der Strecke bleiben dürfen.

Aber das bedeutet auch gleichermaßen, dass sich die Vereine insgesamt und im Speziellen die Trainer das veränderte Anforderungsprofil im Bereich Medien-und Öffentlichkeitsarbeit bewusst machen, dieses annehmen und mit Überzeugung ausfüllen müssen.

Es sollte bei allem Verständnis für die unterschiedlichen Perspektiven wieder ein stärkeres Miteianander geben bei der Berichterstattung über das, was so viele tagtäglich beschäftigt und so viele lieben:

den Fußball. Das sollten sich alle Beteiligten bewusst machen.

 

Journalisten und Aktive sind keine Gegner!

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Kommentare: 1
  • #1

    Lars Köhnen (Dienstag, 31 Mai 2016 09:12)

    Hallo Herr Jung,
    soweit ich das von außen beurteilen kann, stimme ich Ihren Ausführungen komplett zu. Ich kann die Aktiven aber auch verstehen. Mal abgesehen von der Lust der Social Media-User an Shitstorms aus der Anonymität heraus habe ich den Eindruck, dass auch die Pressevertreter immer stärker aus einer Mücke einen Elefanten machen. Die Skandalisierung in den Medien ist mittlerweile inflationär geworden. Ob die Gründe dafür im wachsenden Druck durch sinkende Auflagen etc. und der Sucht nach prägnanten Headlines liegen, ist mir noch nicht klar. Vielleicht möchte man auch einen Gegenpol zu der kontrollierten schönen Pressearbeit der Vereine, etc. setzen? Insgesamt finde ich diese Entwicklung schade und traurig. Es geht ja kaum noch um die wesentlichen Inhalte.
    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass z.B. Bastian Schweinsteiger als Kapitän der Bayern und der Nationalelf seit Jahren kaum noch Interviews gibt. Vielleicht aus Eigenschutz und um das heutige mediale Minenfeld zu umgehen?

    Viele Grüße,
    Lars Köhnen